Die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts (VG) Hannover hat der Klage des Online-Versandhändlers Amazon gegen die niedersächsische Datenschutzbehörde stattgegeben (Urteil des VG Hannover vom 09.02.2023 - 10 A 6199/20).
Die Klägerin betreibt ein Logistikzentrum zur Auslieferung von Waren aus dem Onlineversandhandel. Für bestimmte Arbeitsschritte verwenden die Mitarbeitenden Handscanner, anhand derer die einzelnen Arbeitsschritte in Echtzeit aufgezeichnet und nachverfolgt werden können. Diese Daten werden mittels einer Software analysiert, um logistische Prozesse optimieren und steuern zu können. Daneben dienen diese Daten aber auch der Beschaffung von Bewertungskriterien für individuelles Feedback an die Beschäftigten und Personalentscheidungen. Als Rechtsgrundlage für diese Art der Datenerhebung gibt sie Artikel (Art.) 6 Absatz (Abs.) 1 Unterabsatz 1 Buchstabe f Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) an. Sie habe ein gewichtiges berechtigtes Interesse an der Erhebung der Daten, wobei diese Interessen auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Beschäftigten überwiegen.
Die niedersächsische Datenschutzbehörde leitete aufgrund dieses Vorgehens im Jahr 2017 ein datenschutzrechtliches Kontrollverfahren gegen die Klägerin ein. Mit Bescheid vom Oktober 2020 untersagte sie es der Klägerin Daten über Qualität und Quantität ihrer Mitarbeitenden ununterbrochen zu erheben, diese anhand einer Softwareanwendung auswerten zu lassen und diese Ergebnisse zur Erstellung von Leistungsprofilen, Feedbackgesprächen und Logistikanalysen zu verwenden. Die ununterbrochene Erhebung von Leistungsdaten sei rechtswidrig und verstoße gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen. Die Datenerhebung sei für die Erfassung der Leistung des Logistikzentrums nicht erforderlich, es reichten Informationen über die Ware aus, nicht aber Informationen über die Qualität der erbrachten Leistungen der Beschäftigten.
Gemäß § 26 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) dürfen personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigtenverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Durchführung des Beschäftigtenverhältnisses oder die Beendigung erforderlich ist. Das Gericht hatte in seiner Entscheidung daher zu prüfen, ob die benannte Datenverarbeitung für das Beschäftigtenverhältnis erforderlich ist und ob die Beschäftigten in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt werden.
Das Gericht ist der Auffassung, dass der formell rechtmäßige Bescheid der Beklagten materiell rechtswidrig ist. Die streitgegenständliche Datenverarbeitung könne auf Art. 88 Abs. 1 DSGVO in Verbindung mit § 26 Abs. 1 Satz (S.) 1 BDSG gestützt werden. Im Begriff der Erforderlichkeit des § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG stecke im Ergebnis eine Verhältnismäßigkeitsprüfung.
Es kommt dabei zu dem Ergebnis, dass diese Form der Datenverarbeitung für alle drei genannten Zwecke erforderlich ist. Bei einem Logistikaufwand, wie es Amazon aufgrund der Menge an Bestellungen und der kurzen Zeitspanne zur Verarbeitung des Auftrages zur Verfügung steht betreiben muss, sei eine Datenerhebung in Echtzeit zur Koordination der vielfältigen Prozesspfade unerlässlich. Bei einer nicht hinreichenden Abstimmung zwischen den verschiedenen Arbeitsbereichen führe dies zu einem Kollaps des gesamten Arbeitsprozesses, was für die gewichtigen Interessen der Klägerin streite.
Dem stehe auch nicht der durch die Datenerhebung bedingte Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Mitarbeitenden entgegen. Der Eingriff stehe nicht außer Verhältnis zu den Interessen der Klägerin. Nach durchgeführter Beweisaufnahme durch die Befragung der Zeugen falle die Abwägung der gegenläufigen Interessen zu Gunsten der Klägerin aus. Die Datenerhebung erfolge nicht heimlich, die Beschäftigten können die Datenerhebung vorhersehen und es folge keine Verhaltenskontrolle, sondern lediglich eine Leistungskontrolle statt, sodass die Privatsphäre der Beschäftigten nicht betroffen sei. Auch sagten die Zeugen aus, dass viele Beschäftigte die Möglichkeit objektiven Feedbacks und fairer Personalentscheidungen als positiv werten würden und die Überwachung für Beschäftigten kein Thema im Betrieb sei.
Das Gericht hat die Berufung zugelassen. Die Beklagte hatte damit die Möglichkeit Berufung gegen das Urteil vor den Niedersächsischen OVG in Lüneburg binnen eines Monats nach Vorliegen der vollständigen Entscheidungsgründe einzulegen. Über die etwaige Einlegung einer Berufung sind noch keine Informationen bekannt.
"Mitarbeitende dürfen zwecks Leistungskontrolle fortlaufend überwacht werden"
von Gina Amalathasan, wissenschaftliche Mitarbeiterin