Die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ist im „Neuntes Buch Sozialgesetzbuch“ (SGB IX) geregelt. Für das Arbeitsrecht ist vor allem der besondere Kündigungsschutz von schwerbehinderten Arbeitnehmern (§§ 85 ff. SGB IX) von Bedeutung. In der jüngsten Zeit wird jedoch auch die Prävention von Schwierigkeiten, denen sich ein schwerbehinderter Arbeitnehmer im „Arbeitsalltag“ konfrontiert sieht, immer stärker in den Fokus der arbeitsrechtlichen Beurteilung gerückt.
In einer aktuellen Entscheidung (BAG, Urteil vom 21.04.2016 – 8 AZR 402/14) hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der Frage beschäftigt, ob die Kündigung einer Angestellten mit einem festgestellten Grad der Behinderung (GdB) von 50 den in § 15 Absatz 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetzt (AGG) normierten Entschädigungsanspruch auslöst, wenn nicht zuvor eine Maßnahme zur Prävention durchgeführt wurde.
Zum Fall:
Die Klägerin war beim Landeskriminalamt des Landes Baden-Württemberg beschäftigt und wurde zum Ablauf der vereinbarten Probezeit gekündigt. Ein Präventionsverfahren gemäß 84 Abs. 1 SGB IX führte der beklagte Arbeitgeber nicht durch. Aufgrund der nicht erfüllten Wartezeit von 6 Monaten unterlag die Klägerin weder dem allgemeinen Kündigungsschutz des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) noch dem besonderen Kündigungsschutz als schwerbehinderte Arbeitnehmerin. Dies dürfte der Grund gewesen sein, weshalb sie auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtete sondern vielmehr das beklagte Land auf Entschädigung im Sinne des § 15 Abs. 2 AGG in Anspruch nahm.
Die Klägerin fühlt sich von ihrem ehemaligen Arbeitgeber aufgrund ihrer Schwerbehinderung diskriminiert, da das Präventionsverfahren eine besondere Schutzmaßnahme zur Vermeidung von Nachteilen für Schwerbehinderte sowie eine „angemessene Vorkehrung“ im Sinne von Art. 2 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und des Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG darstelle. Das beklagte Land habe ihr so die Möglichkeit genommen Fehlleistungen zu beheben, die aus ihrer Behinderung resultieren.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen, mit der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht verfolgte die Klägerin ihren Anspruch weiter. Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts bestätigte die Vorinstanzen. Entgegen der Auffassung der Klägerin stelle das Präventionsverfahren keine "angemessene Vorkehrung" iSv. Art. 2 UN-BRK und des Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG dar. Darüber hinaus sei der Arbeitgeber innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG nicht verpflichtet, ein solches Verfahren durchzuführen.
Mit dieser Entscheidung führt das BAG die bisherige zu § 84 SGB IX entwickelte Rechtsprechung fort. Bereits in den Jahren 2006 (BAG, Urteil vom 7.12.2006 – 2 AZR 182/06) und 2007 (BAG, Urteil vom 28. 06.2007 – 6 AZR 750/06) entschieden die Richter aus Leipzig, dass die Durchführung einer Prävention gemäß § 84 Abs. 1 SGB IX keine formelle Wirksamkeit einer Kündigung darstelle sondern vielmehr Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sei.
Von daher ist es konsequent, dass die fehlende Durchführung einer solchen Maßnahme nicht den Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG auslöst.
"BAG: unterbliebenes Präventionsverfahren löst keinen Entschädigungsanspruch aus"