Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 27.06.2024 (Az. I ZR 98/23) entschieden, dass die Bewerbung von Produkten unter der Bezeichnung ,,klimaneutral‘‘ irreführend ist, sofern keine ausreichende Erklärung dazu erfolgt, wie diese Klimaneutralität tatsächlich erreicht wird. Dies kann nämlich auf verschiedene Wege geschehen, z.B. durch CO2-Einsparungen beim Herstellungsprozess oder durch eine anschließende Kompensation im Bereich des Zertifikatehandels.
Inzwischen berücksichtigt ein großer Teil der Verbraucher Nachhaltigkeitsaspekte bei ihren Kaufentscheidungen (Cap Gemini Research Institute: How sustainability is fundamentally changing consumer preferences, 2021), so dass viele Unternehmen ,,Greenwashing‘‘ betreiben, also den Versuch, sich durch Maßnahmen im Bereich Kommunikation und Marketing ein nachhaltiges und umweltbewusstes Image zu geben, ohne dies im operativen Geschäft tatsächlich umzusetzen. Hiergegen kann auf Grundlage des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) geklagt werden. Klagebefugt im Sinne des UWG sind jedoch nicht die einzelnen Verbraucher, sondern nur Mitbewerber, also konkurrierende Unternehmen, und rechtsfähige Verbände, wie im vorliegenden Verfahren die Frankfurter Wettbewerbszentrale.
Vorinstanzen hatten die Klage der Wettbewerbszentrale abgewiesen
Streitgegenständlich war eine Werbung des Süßwarenherstellers ,,Katjes‘‘ in der Lebensmittelzeitung vom 19. Februar 2021. Dort warb das Unternehmen mit der Aussage: ,,Seit 2021 produziert Katjes alle Produkte klimaneutral‘‘. Hierneben wurde ein Label mit dem Wort ,,klimaneutral‘‘ eingeblendet sowie der Zusatz ,,Produkt climatepartner.com‘‘. Diese Internetseite mit weiteren Informationen zur behaupteten Klimaneutralität konnte durch Eingabe der Internetadresse oder durch das Scannen eines abgedruckten QR-Codes aufgerufen werden. Tatsächlich erfolgte der Herstellungsprozess der Süßwaren nicht CO2-neutral. Vielmehr hat Katjes über ein anderes Unternehmen sogenannte Klimaschutzprojekte unterstützt, mit denen CO2-Emissionen kompensiert werden. Hierin sah die Frankfurter Wettbewerbszentrale ein unlauteres Verhalten unter den Gesichtspunkten der Irreführung und des Vorenthaltens von für die geschäftliche Entscheidung wesentlichen Informationen. Die daraufhin erfolgte Klage wurde vom LG Kleve abgewiesen und auch die Berufung vor dem OLG Düsseldorf blieb ohne Erfolg. Nach ihrer Auffassung verstehe ein situationsadäquat aufmerksamer und durchschnittlich informierter Verbraucher den Begriff ,,klimaneutral‘‘ nicht im Sinne einer CO2-neutralen Produktion sondern vielmehr im Sinne einer ausgeglichen CO2-Bilanz des Unternehmens. Zwar sei darüber hinaus eine transparente Aufklärung über die konkret getroffenen Kompensationsmaßnahmen erforderlich. Hierfür sei aber die Zurverfügungstellung der Informationen auf der über den QR-Code aufrufbaren Internetseite ausreichend.
Strenge Anforderungen an die Werbung mit umwelt- und klimabezogenen Bezeichnungen
Der BGH hingegen hat nun der Frankfurter Wettbewerbszentrale Recht gegeben, das vorangegangene Urteil aufgehoben und ihr einen Unterlassungsanspruch wegen Irreführung aus § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 UWG gegen Katjes zugesprochen.
Die Karlsruher Richter sehen in der Katjes-Werbung eine Irreführung durch aktive Täuschung (§ 5 UWG) aufgrund der Mehrdeutigkeit des Begriffes ,,klimaneutral‘‘.
,,Aus dem gesteigerten Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt umweltbezogener Angaben folgt, dass an die zur Vermeidung einer Irreführung erforderlichen aufklärenden Hinweise strenge Anforderungen zu stellen sind. Diese Anforderungen werden bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff verwendet, regelmäßig nur dann erfüllt sein, wenn bereits in der Werbung selbst eindeutig und klar erläutert wird, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist.‘‘
Die strengen Anforderungen an Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit von Werbeaussagen, die der Bundesgerichtshof für gesundheitsbezogene Werbung aufgestellt hat, sollen dabei regelmäßig auch für die Werbung mit Umweltschutzbegriffen und -zeichen gelten. Darüber hinaus greift der BGH die in Wissenschaft und Rechtsprechung geäußerten Zweifel an der Wirksamkeit von Kompensationsmaßnahmen auf, indem er diese jedenfalls als ein Minus zu einem vollständig klimaneutralen Herstellungsprozess ansieht.
,,Eine Erläuterung in der Werbung selbst ist bei der Verwendung des Begriffs "klimaneutral", der sowohl die Vermeidung von CO2-Emissionen als auch die CO2-Kompensation umfasst, insbesondere deshalb erforderlich, weil die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität sind. Vielmehr gilt der Grundsatz des Vorrangs der Reduktion gegenüber der Kompensation.‘‘
Praktische Folgen für Unternehmen
Die aufgestellten Voraussetzungen führen dazu, dass Unternehmen ihre Produkte nur noch dann als ,,klimaneutral‘‘ bewerben dürfen, wenn gut sichtbar und direkt in der Werbung darüber informiert wird, dass diese ,,Klimaneutralität‘‘ nur durch Kompensation erzielt wird. Möglich erscheint darüber hinaus auch die Implementierung von alternativen Formulierungen, über deren Zulässigkeit dann gegebenenfalls an anderer Stelle entschieden werden muss.
Neben der soeben erörterten BGH-Entscheidung spricht auch die Gesetzgebungspraxis der Europäischen Union im Rahmen des Green Deals für eine Veränderung bei der Werbung mit umwelt- und klimabezogenen Angaben. Durch die (sich noch im Gesetzgebungsprozess befindende) ,,Richtlinie über umweltbezogene Angaben‘‘ sollen Umweltaussagen in der Werbung nur noch nach vorheriger wissenschaftlicher Prüfung zulässig sein. Die ,,Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel‘‘ sieht unter anderem vor dass die Bewerbung von Produkten als ,,klimaneutral‘‘ oder als CO2-reduziert‘‘ künftig nicht mehr auf Kompensationsmaßnahmen gestützt werden darf. Spätestens ab der Umsetzung dieser Richtlinien in nationales Recht wird also ohnehin eine Kehrtwende bei der umweltbezogenen Werbung notwendig sein.
"BGH: Klimaneutral kann irreführend sein"
von Sebastian Schäpers, wissenschaftlicher Mitarbeiter