Was einmal im Internet ist, bleibt dort auch. Dieser Grundsatz wurde auf europäischer Ebene durch das Recht auf Vergessenwerden ins Wanken gebracht. Über die genauen Voraussetzungen für einen solchen Löschungsanspruch hat der Bundesgerichtshof (BGH) nach Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 23.05.2023 entschieden.
Geklagt hatte ein Paar, das in Gesellschaften der Finanzbranche tätig ist. Sie wollten sich gegen die Anzeige diverser Artikel durch den Suchmaschinenbetreiber von Google wehren. Dabei handelte es sich um Artikel auf der Website eines US-amerikanischen Unternehmens, welches sich seiner Selbstbeschreibung nach "durch aktive Aufklärung und Transparenz nachhaltig zur Betrugsprävention in Wirtschaft und Gesellschaft beizutragen" zum Ziel gesetzt hat. Unter diesem Ziel veröffentlichte das Unternehmen 2015 mehrere Artikel, welche das Anlagemodell einiger dieser Gesellschaften kritisierte. In einem der benannten Artikel war ein Foto der Kläger zu sehen. Die Kläger beantragten nun von dem Google-Suchmaschinenbetreiber die Anzeige dieser Artikel bei der Suche nach ihren Namen und den Namen verschiedener Gesellschaften in der Ergebnisliste sowie die Anzeige der Fotos von ihnen als so genannte „Thumbnails“ zu unterlassen. Daraufhin erklärte die Beklagte, dass ihr eine Beurteilung über den Wahrheitsgehalt der in den verlinkten Inhalten aufgestellten Behauptungen nicht möglich sei.
In erster Instanz am Landgericht (LG) Köln wurde die Klage abgewiesen. Nach erfolgloser Berufung wandten sich die Kläger an den BGH, welcher das Verfahren am 27. Juli 2020 aussetzte und sich mit Fragen zur Auslegung von Artikel 17 Absatz 1 DSGVO an den EuGH richtete.
Dieser erklärte mit Urteil vom 08. Dezember 2022 (C-460/20), dass eine Löschungsverpflichtung eines Suchmaschinenbetreibers dann bestehe, „wenn die eine Auslistung begehrende Person relevante und hinreichende Nachweise vorlege, die ihren Antrag zu stützen vermögen und belegen, dass die in dem aufgelisteten Inhalt enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig seien oder zumindest ein für diesen gesamten Inhalt nicht unbedeutender Teil dieser Informationen offensichtlich unrichtig sei.“ Bloße Behauptungen, die Artikel stellten unrichtige Informationen über die betroffenen Personen dar, genügten damit nicht.
Die Suchmaschinenbetreiber selbst seien also nicht verpflichtet, eigene Ermittlungen bezüglich der Richtigkeit der in ihren Suchergebnissen angezeigten Artikeln anzustellen. Grund dafür sei, nach Angaben des Vorsitzenden Richters des VI. Zivilsenats am BGH, Stephan Seiters, dass eine eigene Ermittlungspflicht der Suchmaschinenbetreibers die Gefahr berge, dass diese in großem Umfang Verlinkungen zu Artikel löschten, welche tatsächlich keine unrichtigen Angaben machen, um sich Arbeit zu sparen. Der Aufwand für die Betroffenen zum Nachweis fehlerhafter Angaben sei angemessen, erklärt Seiters. Was genau als angemessen gelte, ist wohl in der Praxis im Einzelfall zu entscheiden. Bei der Löschung von Bildern als „Thumbnails“ sei, nach Angaben des EuGH „dem Informationswert dieser Fotos - unabhängig vom Kontext ihrer Veröffentlichung auf der Internetseite, der sie entnommen sind, aber unter Berücksichtigung jedes Textelements, das mit der Anzeige dieser Fotos in den Suchergebnissen unmittelbar einhergeht und Aufschluss über den Informationswert dieser Fotos geben kann - Rechnung zu tragen.“
Im konkreten Fall veranlasste diese Entscheidung des EuGH den BGH deshalb wie folgt zu entscheiden:
Der Antrag der Kläger, den Google-Suchmaschinenbetreiber zur Löschung der Artikel aus den Suchergebnissen zu verurteilen, wurde mit der Begründung abgelehnt, dass die Kläger keine hinreichenden Nachweise erbracht hätten, dass die im Artikel enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig seien.
Bezüglich der bildlichen Darstellung der Kläger in „Thumbnails“ bei Suchen ohne jeglichen Zusammenhang mit den Personen der Kläger fehle jedoch die hinreichende Aussagekraft der Bilder. Eine Anzeige der für sich genommen nicht aussagekräftigen Fotos der Kläger als Vorschaubilder ohne jeden Kontext war also nicht gerechtfertigt. Dies gelte auch, wenn man mit einem Klick auf die Seite mit den entsprechenden Texten komme. Das überwiegende Recht am eigenen Bild erfordere die Löschung der Bilder.
"BGH: Recht auf Vergessenwerden"
von Sanja Frey, wissenschaftliche Mitarbeiterin