BVerfG: „Speichern auf Zuruf“ von IP-Adressen abgesegnet

Bundesverfassungsgericht: Die Anordnung des „Speicherns auf Zuruf“ von IP-Adressen gegenüber Email-Providern ist nun zumindest im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren höchstrichterlich abgesegnet – Beschluss des BVerfG v. 20.12.2018 – AZ.: 2 BvR 2377/16.

 

Was war passiert?

 

Im Jahre 2006 eröffnete die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdacht des unerlaubten Handelstreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und Verstoßes gegen das Kriegswaffengesetz gegen den Nutzer eines Email-Postfachs beim Anbieter Posteo. Gemäß der Regelungen aus der Strafprozessordnung (StPO) und des Telekommunikationsgesetz (TKG), namentlich §§ 70 I S. 2, 95 Abs. 2, 100 b III S. 2 StPO a.F. i.V.m § 110 I S. 1 TKG, ordnete das Amtsgericht Stuttgart die Onlinedurchsuchung des Accounts bei Posteo an. Diese Anordnung bezog sich insbesondere auf die sog. Verkehrsdaten und damit die IP-Adresse(n) des unter Verdacht stehenden Nutzers. 

 

Der Anbieter Posteo, der sich den Grundsätzen der Datensparsamkeit und Datenminimierung besonders verpflichtet sieht und damit auch gegenüber seinen Kunden wirbt, weigerte sich jedoch, die IP-Adressen seiner Kunden an die Strafverfolgungsbehörden heraus zu geben. Eine solche Herausgabe würde gegen sein Geschäftsmodell und damit gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit – Art. 12 GG – in Form des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verstoßen. Zudem verwende er das sog. NAT-Verfahren, wonach die Verkehrsdaten der Kunden bereits verschlüsselt werden, bevor diese in den Machtbereich des Anbieters gelangen. Er verfüge also gar nicht über die technischen Voraussetzungen, um die Verkehrsdaten zu erheben und zu speichern.

 

Nachdem die Beschwerde gegen die Anordnung des Amtsgerichts Stuttgart vom Landgericht Stuttgart zurück gewiesen worden war, legte Posteo Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung beim Bundesverfassungsgericht ein. Dieses nahm die Beschwerde jedoch nicht zur Entscheidung an und begründete dies in einem ausführlichen Beschluss: 

 

Die Grundaussage des Bundesverfassungsgerichts ist die, dass das Strafverfolgungsinteresse des Staates bei der Aufklärung schwerer Straftaten gegenüber den Grundrechten der Betroffenen – hier die Berufsausübungsfreiheit - überwiegt. Zwar heißt es zunächst in den Leitsätzen der Entscheidung:

 

„Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen den Anbieter eines E-Mail-Dienstes, der sein internes Netzwerk mittels eines sogenannten NAT-Verfahrens (Network Adress Translation) vom Internet abtrennt und deshalb den Ermittlungsbehörden die - von ihm nicht geloggten - IP-Adressen der E-Mail-Nutzer nicht herausgibt, greift in die Berufsausübungsfreiheit des Anbieters ein, weil sie diesem technische und organisatorische Vorgaben für die Einrichtung seines Betriebes macht.“

 

„Eingriffe in die Berufsfreiheit sind nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung zulässig, die Umfang und Grenzen des Eingriffs erkennen lässt und mit welcher der Gesetzgeber - soweit möglich - alle wesentlichen Entscheidungen selbst trifft.“

 

Sodann führt das Gericht jedoch aus:

 

„Nach den gesetzlichen Mitwirkungs- und Vorhaltungsvorschriften sind Telekommunikationsdienstanbieter verpflichtet, ihren Betrieb so zu gestalten, dass sie die im Rahmen einer rechtmäßig angeordneten Überwachung der Telekommunikation bei ihnen anfallenden IP-Adressen bereitstellen können.“

 

„Der Begriff der Telekommunikation im Sinne des § 100a StPO ist - orientiert am Schutzbereich des Art. 10 GG - weit auszulegen und umfasst nicht nur Kommunikationsinhalte, sondern auch die näheren Umstande der Telekommunikation. Zu den hiervon betroffenen Verkehrsdaten gehören auch und gerade die anfallenden (dynamischen oder statischen) IP-Adressen, mit denen die Kunden eines E-Mail-Dienstes mit ihren internetfähigen Endgeräten auf ihren E-Mail-Account zugreifen.“

 

„Wenngleich das Geschäftsmodell eines E-Mail-Anbieters, die IP-Adressen seiner Kunden aus Datenschutzgründen nicht zu protokollieren, unter dem Gesichtspunkt der Berufsfreiheit durchaus schützenswert erscheint, entbindet ihn dies nicht von der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben, die dem verfassungsrechtlichen Erfordernis einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege Rechnung tragen. Dies gilt auch dann, wenn eine Systemumstellung ihm einen nicht unerheblichen technischen und finanziellen Aufwand abverlangt.“

 

Damit hat sich das Bundesverfassungsgericht zum Thema „Speicherung auf Zuruf“ zumindest aus strafprozessualer Sicht klar positioniert. Die Entscheidung dürfte weitreichende Folgen haben.

 

Bekannt ist die Problematik des „Speicherns auf Zuruf“ vor allem aus dem Marken- und Urheberrecht. Diskutiert wird hier, inwieweit Auskunftsansprüche der Diensteanbieter bestehen. Verschiedene Gerichte haben in der Vergangenheit gefordert, dass für solche eine detaillierte gesetzliche Grundlage geschaffen werden müsse. Das Bundesverfassungsgericht gibt diesen Gerichten nun Recht und hat ausgeführt, dass die Anforderungen an die gesetzliche Grundlage im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erfüllt sind. Solche gesetzlichen Grundlagen für Auskunftsansprüche fehlen jedoch im Marken- und Urheberrecht bisher. Mit Spannung bleibt hier die weitere Entwicklung abzuwarten. 

 

"BVerfG: „Speichern auf Zuruf“ von IP-Adressen abgesegnet"

von Rechtsanwalt Markus Schultz