DSGVO: Das „Recht auf Vergessenwerden“ I und II

Der Einzelne hat ein Recht darauf, vergessen zu werden. So viel zum Kern der Entscheidung. Welche weitreichenden Folgen die Entscheidung aber für die Gerichte hat und was der „digitale Radiergummi“ für Unternehmen bedeutet, möchten wir Ihnen gerne näher bringen.

 

Recht auf Vergessenwerden I

 

1. Der Europäische Gerichtshof

In seiner Entscheidung das „Recht auf Vergessenwerden I“, auch „Google-Urteil“ hat der EuGH einige grundlegende Punkte für den Datenschutz geregelt. Denn dieser räumte Privatpersonen das Recht ein, die Löschung von Informationen zu ihrer Person von dem Suchmaschinenbetreiber zu verlangen. 

 

So seien diejenigen Informationen, die sich in der Ergebnisliste der Suchmaschine über eine Person finden lassen, „personenbezogene Daten“ gemäß Art. 4 Nr. 1 DSGVO. Umfasst sind beispielsweise Fälle wie Verlinkungen in Suchergebnissen, aber auch Mitarbeiterdaten, welche durch den Arbeitgeber auf sozialen Netzwerken veröffentlicht werden. Dadurch könne das Recht auf Achtung des Privatlebens sowie das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten so stark gefährdet sein, dass Privatpersonen die Löschung, Berichtigung oder Sperrung der Daten verlangen können. Der Anspruch erfolgt aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO.

 

Voraussetzung des Anspruchs auf Löschung ist dabei insbesondere der Zweckfortfall der Verarbeitung wegen der Zeit, die vergangen ist, oder mangelnder Erforderlichkeit. Außerdem bestehe kein Anspruch, wenn im Rahmen einer Interessenabwägung die Grundrechte der betroffenen Person hinter dem Interesse der öffentlichen Zugänglichmachung der Daten zurücktreten.

 

Zum einen erleichtert diese Entscheidung für Privatpersonen die Geltendmachung der jeweiligen Ansprüche und schafft Transparenz für den Einzelnen. Denn dieser kann nicht nur vom Suchmaschinenbetreiber selbst, sondern auch von jeder anderen Kontrollstelle oder Gericht die Löschung, Berichtigung oder Sperrung der betreffenden Daten verlangen. Dabei ist es unerheblich, ob die Veröffentlichung der personenbezogenen Daten auf den Internetseiten rechtmäßig ist. Außerdem entschied der EuGH, dass auch nicht zuerst der Herausgeber der Website herangezogen werden muss und dass sich der Verantwortliche verpflichtet, die Löschung unverzüglich und dauerhaft zu gewährleisten.

 

Der EuGH entschied auch, dass es unerheblich sei, ob die Verarbeitung der personenbezogenen Daten nicht in dem Mitgliedsstaat stattfinde, in dem der Betroffene seinen Anspruch geltend macht. Ausschlaggebend sei, dass auch Niederlassungen, wie im vorliegenden Fall Google Spain, Datenverarbeiter seien, selbst wenn die Haupttätigkeiten der Niederlassungen einen anderen Schwerpunktbereich aufweisen.

 

Zum anderen bringt diese Entscheidung für das verantwortliche Unternehmen gewisse Anforderungen mit sich. Denn insbesondere berücksichtigt diese Entscheidung die leichte Verbreitung von Daten durch Onlinedienste. Diese müssen nämlich fortan die dauerhafte Löschung der personenbezogenen Daten gewährleisten. Zudem hat die Einhaltung der Löschroutine gemäß der Rechenschaftspflicht aus Art. 5 Abs. 2 DSGVO dokumentiert zu erfolgen. 

 

2. Das Bundesverfassungsgericht

Auch das BVerfG hat weitreichende Entscheidungen zum „Recht auf Vergessenwerden“ gefällt. Denn grundsätzlich tritt das Grundgesetz hinter den Unionsgrundrechten gemäß Art. 23 Abs. 1 GG zurück, solange der europäische Grundrechtsstandard mit dem Grundgesetz vergleichbar ist. Die Grundrechte bleiben aber insoweit anwendbar, wie das Unionsrecht Umsetzungsspielräume belässt. Das BVerfG prüft jedoch lediglich spezifisches Verfassungsrecht und kann daher die EU-Grundrechte nicht als Prüfungsmaßstab anwenden. So ergibt sich ein unterschiedlicher Prüfungsmaßstab, je nach Gericht welches entscheidet.

 

Problematisch dabei ist, dass der EuGH in den mitgliedsstaatlichen Umsetzungsspielräumen die Chartagrundrechte zur Prüfung hinzuzog, sodass sich dort die beiden Grundrechtssphären überlagern müssten.

 

Mit dem Beschluss des BVerfG „Recht auf Vergessenwerden I“ bestätigt das Gericht, dass innerhalb mitgliedsstaatlicher Gestaltungsspielräume beide Grundrechtskataloge nebeneinander zur Anwendung kommen. Der Grundrechtsschutz richtet sich dann nach dem jeweils höheren Schutzniveau. So bewahrt des BVerfG auch seine Auslegungskompetenz. Zudem stellt das BVerfG die (widerlegliche) Vermutung auf, dass eine Prüfung am Maßstab des Grundgesetzes das Schutzniveau der Grundrechtecharta gewährleistet wird und folgert daraus, dass die Grundrechte des Grundgesetzes im Überlagerungsbereich grundsätzlich einen Prüfungsvorrang genießen. 

 

In der Literatur wird die Entscheidung des Rechts auf Vergessenwerden deshalb auch teilweise als „Solange III“ Entscheidung betitelt. Der Leitsatz dazu könnte wie folgt lauten:

 

„Solange das Schutzniveau der Grundrechtecharta nicht höher ist, als das des Grundgesetzes, sind die Grundrechte des Grundgesetzes in mitgliedsstaatlichen Gestaltungsspielräumen primärer Prüfungsmaßstab vor der Grundrechtecharta, soweit keine konkreten Anhaltspunkte für ein ausnahmsweise höheres Schutzniveau der Grundrechtecharta besteht.“

 

Recht auf Vergessenwerden II

 

1. Der Europäische Gerichtshof

In seiner zweiten Entscheidung zum Recht auf Vergessenwerden konkretisierte der EuGH die Breitenwirkung des Anspruchs. Dementsprechend müsse Google die Einträge nicht weltweit löschen. Die Löschpflicht erstrecke sich nämlich nur auf EU-Staaten. Allerdings ist ein „Geoblocking“ zwingend erforderlich, was bedeutet, dass es von einem Mitgliedsstaat aus nicht möglich sein kann, auf Links in Nicht-EU-Versionen zuzugreifen. Verboten sei die weltweite Löschung jedoch auch nicht. Den Mitgliedsstaaten sei es also selbst überlassen darüber zu entscheiden, ob sie, nach einer Abwägung des Persönlichkeitsrechts gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit, eine weltweite Löschung erzwingen. 

 

2. Das Bundesverfassungsgericht

Mit der „Recht auf Vergessenwerden II“ Entscheidung des BVerfG wurde ein weiterer Meilenstein gelegt. Denn dieser entschied, dass dort, wo das umzusetzende Unionsrecht keine fachrechtlichen Gestaltungsspielräume lässt, das BVerfG die anwendbaren Chartagrundrechte ab sofort selbst als Prüfungsmaßstab heranzieht. Dies hat zur Folge, dass sich die Rechtsschutzmöglichkeiten bei unionsrechtlich vollharmonisierten Sachverhalten erweitert haben, denn früher ist nur eine inzidente Rüge der Chartagrundrechte möglich gewesen. Sprich: Der Bürger kann sich im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde nun auch auf die unionsrechtlichen Grundrechte der Charta berufen, soweit diese anwendbar sind. 

 

Begründet wird dieser Schritt damit, dass das BVerfG die „Gewährleistung eines wirksamen Grundrechtsschutzes“ wahren müsse und die Chartagrundrechte dafür als „Funktionsäquivalent“ dienen. Außerdem hat dies zur Folge, dass der EuGH eine häufigere Vorlage des BVerfG erwarten kann und somit die Möglichkeit hat, die Unionsrechte effektiv zu stärken.

 

Auch diese Entscheidung kann als „Solange IV“ Entscheidung interpretiert werden: 

 

„Solange keine effektive Rechtsbehelfsmöglichkeit der Unionsbürger vor dem EuGH vorliegt, um sich auf die Chartagrundrechte berufen zu können, prüft das BVerfG die Grundrechte der Charta.“

 

Haben Sie Fragen? Gerne stehen wir für eine fachkundige Beratung zur Verfügung.

 

"DSGVO: Das „Recht auf Vergessenwerden“ I und II"

von Miriam Gavrilescu, wissenschaftliche Mitarbeiterin