EuGH: Fingerabdruckpflicht im Personalausweis legal

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat durch Urteil vom 21.03.2024 (Az: C-61/22) entschieden, dass die europarechtliche Verpflichtung zur Aufnahme von zwei Fingerabdrücken in nationale Personalausweise mit den Grundrechten auf Achtung des Privatlebens (Art. 7 Grundrechte-Charta) und auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 Abs. 1 Grundrechte-Charta) vereinbar ist. 

 

Die Entscheidung erging auf ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Wiesbaden. Im zugrundeliegenden Verfahren begehrt der Kläger, ein deutscher Staatsbürger, die Ausstellung eines Personalausweises ohne die Aufnahme und Speicherung von Fingerabdrücken. Dies wurde von der Stadt Wiesbaden abgelehnt, die sich auf § 5 Abs. 5 Nr. 3, Abs. 9, § 9 Abs. 3 des Personalausweisgesetzes beruft. Danach besteht eine Verpflichtung zur Abgabe von Fingerabdrücken bei Beantragung eines neuen Personalausweises. Mit dieser Regelung entspricht Deutschland der Vorgabe von Art. 3 Abs. 5 der europäischen Verordnung zur Erhöhung der Sicherheit der Personalausweise (VO (EU) 2019/1157 vom 20.07.2019). Die Abdrücke werden nur auf dem Ausweis selbst gespeichert, nicht hingegen auf einer zentralen Datenbank der Bundesrepublik.

 

Durch das Vorabentscheidungsverfahren sollte die rechtliche Wirksamkeit dieser Verordnung geklärt werden. Die bereits im Jahr 2013 ergangene Entscheidung (EuGH C-291/12 vom 17.10.2013) lässt sich nicht auf die in Frage stehende Verordnung übertragen, da sie Reisepässe betroffen hat, deren Besitz im Gegensatz zu Personalausweisen in Deutschland freiwillig ist und deren Nutzung ein anderes Ziel verfolgt.

Einschränkung der Grundrechte gerechtfertigt

 

Aus Art. 7 Grundrechte-Charta und Art. 8 Abs. 1 Grundrechte-Charta ergibt sich, dass jede Verarbeitung personenbezogener Daten durch Dritte grundsätzlich einen Eingriff in diese Rechte darstellen kann. Einen solchen Eingriff stellt die Verpflichtung dar, dass das Speichermedium, mit dem die Personalausweise versehen werden, biometrische Daten (Gesichtsbild und Fingerabdrücke) enthalten muss. 

 

Die Einschränkung ist jedoch durch überwiegende und legitime Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. 

 

Die Sicherheitsstandards der von den Mitgliedsstaaten ausgestellten nationalen Personalausweise und anderer Aufenthaltstitel unterschieden sich in der Vergangenheit mitunter erheblich. Dies führte zu einem erhöhten Fälschungs- und Dokumentenbetrugsrisiko und auch zu praktischen Schwierigkeiten für Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausüben möchten. Die Pflicht zur Aufnahme biometrischer Identifikatoren sollte nun Mindestsicherheitsstandards gewährleisten, um die Verwendung von Ausweisdokumenten in der Europäischen Union sicherer zu machen. 

 

Die Aufnahme zweier vollständiger Fingerabdrücke in das Speichermedium des Personalausweises sei das zuverlässigste und wirksamste Mittel, um die Identität einer Person mit Sicherheit festzustellen und damit geeignet, die vom Unionsgesetzgeber angeführten Ziele zum einen der Bekämpfung der Herstellung gefälschter Personalausweise und des Identitätsdiebstahls und zum anderen der Interoperabilität der Überprüfungssysteme zu erreichen. Ein Lichtbild sei im Vergleich zu Fingerabdrücken weniger fälschungssicher. Die anatomischen Gesichtsmerkmale könnten nämlich durch verschiedene Umstände verändert werden.

 

Zuletzt sieht der Gerichtshof auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt. Angesichts der Art der in Rede stehenden Daten, der Modalitäten der Verarbeitungsvorgänge und der vorgesehenen Schutzmechanismen erscheint die Grundrechtseinschränkung nicht so schwer, als dass sie außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung und dem Schutz des Privatlebens der betroffenen Personen steht.

  

Aber: Wahl einer falschen Rechtsgrundlage – Nachbesserung erforderlich

 

Nichtsdestotrotz erklärt der EuGH die Verordnung trotz der Vereinbarkeit mit Grundrechten und Datenschutzrecht für ungültig. Grund hierfür ist eine falsche Rechtsgrundlage. Das Europäische Parlament und der Rat hatten die Verordnung nämlich auf Art. 21 Abs. 2 AEUV gestützt und nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen. Jedoch enthält der AEUV mit Art. 77 Abs. 3 eine speziellere Bestimmung für die Ausstellung von Pässen und Personalausweisen, die ein besonderes Gesetzgebungsverfahren und damit insbesondere eine Einstimmigkeit im Rat vorsieht. 

 

Aus Gründen der Rechtssicherheit bleibt die Verordnung 2019/1157 aber vorerst wirksam, um schwerwiegende negative Folgen für die Unionsbürger zu vermeiden. Der EU-Gesetzgeber hat nun bis Ende 2026 Zeit, eine neue Verordnung auf Grundlage von Art. 77 Abs. 3 AEUV zu erlassen. 

 

"EuGH: Fingerabdruckpflicht im Personalausweis legal"

von Sebastian Schäpers, wissenschaftlicher Mitarbeiter