Am 09.02.2024 urteilte das Landgericht München I (42 O 10792/22) zum Thema Rechtsmissbrauch des Konzerns TikTok durch Verzögerungstaktiken bei Lizensierungsverhandlungen.
Das klagende Medienunternehmen mit Sitz in Berlin machte durch Klage urheberrechtliche Unterlassungs-, Auskunfts-, und Schadensersatzfeststellungsansprüche aus §§ 97 Absatz (Abs.) 1 und Abs. 2, 19a, 15 Abs. 2, 94 Abs. 1 Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz - UrhG) in Verbindung mit §§ 1 Abs. 2, 21 Abs. 1 Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten (UrhDaG) sowie §§ 242, 259 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geltend. Diese wurden ihm weitgehend zugesprochen.
Das Unternehmen ist spezialisiert auf die weltweite Lizenzierung von Filmen und anderen Inhalten über Online-Plattformen. Hierfür erwirbt es die Rechte zur öffentlichen Zugänglichmachung an Filmen von Sendern, Filmverleihen und Filmproduzenten.
Anlass der Klage war die unberechtigte Veröffentlichung mehrerer Filme auf der Online-Plattform der Beklagten, auf welche die Klägerin aufmerksam machte. Diese wurden daraufhin im Wege des Notice-and-Takedown-Verfahrens gelöscht, jedoch verweigerte TikTok die Abgabe einer Unterlassungserklärung. Rechteinhaber können auf TikTok eine permanente Blockierung erreichen, indem sie sog. Referenzfiles übermitteln und die Blockierung der darin enthaltenen Inhalte verlangen. Im Zeitraum von 01.02.2021 und 19.11.2021 wurden 164 URLs auf der Plattform gesperrt. Bei 11.000 Videos konnte die Veröffentlichung verhindert werden. Daraufhin erfragte die Klägerin am 17.01.2022, ob TikTok Interesse am Erwerb der Rechte habe. Um diese Frage beantworten zu können, forderte Tiktok genauere Informationen. Über mehrere Monate hinweg forderte TikTok zusätzliche Informationen an, welche die Klägerin lieferte.
Nun wurde TikTok zur Unterlassung der Zugänglichmachung der Filme und zum Schadensersatz verurteilt, dessen Höhe sich erst nach der Auskunft TikToks über die Nutzungshäufigkeit der Filme damit erzielten Einnahmen bemessen lässt.
Zwar solle die Urheberrechtsreform von 2021 verhindern, dass Online-Anbieter während laufender Lizenzverhandlungen verklagt werden, jedoch seien in diesem Fall keine echten Verhandlungen erkenntlich. TikTok habe keinerlei Anstrengungen unternommen, die Rechte an den gegenständlichen Filmen zu erwerben. Die Beklagte habe die Gespräche systematisch verzögert, indem sie keine Antwort gegeben habe, ob sie an dem Lizenzerwerb interessiert sei. Damit verletzte TikTok seine Lizenzobliegenheit nach § 4 UrhDaG, welche von den Dienstanbietern fordert, „bestmögliche Anstrengungen zu unternehmen, um die vertraglichen Nutzungsrechte für die öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke zu erwerben“.
Die Klägerin kam ihren Mitwirkungsobliegenheiten nach. Das Angebot des Medienunternehmens sah angemessene Bedingungen im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 4 UrhDaG vor. Warum diese „um mehr als den Faktor 1.000“ überhöht sein, ließ TikTok trotz seiner diesbezüglichen Darlegungs- und Beweislast offen.
Dienstanbieter und Rechteinhaber haben die für die Verhandlungen notwendigen Informationen auszutauschen (vgl. Art. 16 Abs. 2 Richtlinie 2014/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt, § 36 Abs. 1 S. 2 Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten durch Verwertungsgesellschaften - VGG), unverzüglich auf Anfragen der anderen Seite zu reagieren und mitzuteilen, welche Angaben sie für ein Vertragsangebot benötigen (vgl. Art. 16 Abs. 3 RL 2014/26/EU, § 36 Abs. 2 S. 2 VGG).
Das Medienunternehmen legte dar, wieso es eine „per-Stream“-Vergütung wählte und zog die Tarife der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) als Richtwert für die Lizenzhöhe heran. TikTok machte dagegen keine Angaben zu ihren Lizenzierungspraktiken. TikTok unterbreitete der Klägerin auch kein Gegenangebot und nannte keine Rahmenbedingungen für ein modifiziertes Angebot, obwohl die Klägerin nach diesen nachfragte. Die Email der Klägerin mit diesen Nachfragen ließ Tiktok unbeantwortet. Aufgrund dessen konnte kein Interesse an einem Lizenzerwerb erkannt werden.
Insgesamt handelte es sich nach Auffassung des Gerichts um einen einseitigen Informationsfluss in Richtung der Beklagten.
Dies gilt auch für den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, nach welchem der Umfang sowie die Art der Inhalte und ihre Verbreitung bei der Bewertung der bestmöglichen Anstrengungen zum Lizenzerwerb zu berücksichtigen sind. Auf Grundlage des Umfangs der Produktionen, der bereits erfolgten Sperrungen und Anzahl der verhinderten Veröffentlichungen konnten erhöhte Anstrengungen von der Beklagten gefordert werden.
Da die Beklagte gegen ihre Lizenzobliegenheit nach § 4 UrhDaG verstoßen hat, kommt es auf das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 7, 8 UrhDaG nicht an. Denn der Diensteanbieter hat die Pflichten aus §§ 4, 7 – 11 UrhDaG kumulativ zu erfüllen.
Einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand, dass sie keine Klage erheben werde, habe die Klägerin nicht hervorgerufen. Durch die konkreten Hinweise und der Nutzung des Take-down-Systems hätte TikTok erkennen müssen, dass die Klägerin die Zugänglichmachung der Filme innerhalb des lizenzlosen Zeitraums nicht billige.
"TikTok: Keine Nutzungsrechte für Videos"
von Annemarie Schulz, wissenschaftliche Mitarbeiterin