28. Oktober 2025
Presserecht. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 29. Juli 2025 entschieden (Az.: VI ZR 426/24), dass einem Bundestagsabgeordneten, welcher in einem Demonstrationsaufruf einer rechten Partei namentlich genannt worden war, kein Schadensersatzanspruch wegen dieser Namensnennung zusteht.
Worum geht es?
Der Kläger ist Abgeordneter der Partei Die Linke im Wahlkreis Leipzig- Süd. Die Beklagte ist die Landespartei Freie Sachsen, welche vom Landesverfassungsschutz als rechtsextreme Kleinstpartei eingestuft wurde. Der Kläger hatte für den 05. September 2022 eine Demonstration zum Thema „Preise runter – Energie und Essen müssen bezahlbar sein“ auf dem Leipziger Augustusplatz angemeldet.
Kurze Zeit später meldete die Beklagte ebenfalls eine Demonstration am selben Ort zur gleichen Zeit an – allerdings unter dem Titel „Freie Sachsen unterstützen den Montagsprotest von [Name des Klägers] und der Linken- gemeinsam gegen die da oben“. Entsprechend informierte die Beklagte auf ihrem Telegram-Kanal über die geplante Demonstration. Der streitgegenständliche Post war mit dem Titel „GETRENNT MARSCHIEREN, GEMEINSAM SCHLAGEN! […] Alle Kundgebungen sind genehmigt“ überschrieben und führte als Unterüberschrift die beteiligten Personen in fettgedruckter Schrift auf. Unter diesen befand sich neben bekannten Spitzenpolitkern der Linken auch der Name des Klägers. In der Beschreibung zur Veranstaltung hieß es ferner: „Am nächsten Montag werden auf dem Augustusplatz in Leipzig die verschiedensten politischen Lager der Opposition zusammentreffen, um gemeinsam gegen die Energie- und Sanktionspolitik der Regierung auf die Straße zu gehen“.
Der Kläger sah in dem Demonstrationsaufruf eine unwahre Tatsachenbehauptung – insbesondere die Andeutung einer Zusammenarbeit zwischen seiner Partei und den rechtsextremen Freien Sachsen wertete er als schwerwiegenden Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (APR). Er reagierte zunächst erfolgreich mit einem einstweiligen Verfügungsverfahren, das zur Löschung des Telegram-Beitrags führte. In der Hauptsache beantragte er vor dem Landgericht Leipzig Schadensersatz aus § 823 I BGB in Verbindung mit APR und Art. 82 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).
Prozessverlauf
Die Vorinstanzen waren sich uneinig. Das Landgericht Leipzig sprach dem Kläger einen Schadensersatzanspruch in einer Höhe von 10.000 Euro wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung aus § 823 I BGB iVm. APR zu. Auf Berufung der Beklagten wurde das Urteil des Landgerichts jedoch durch das Oberlandesgericht Dresden (OLG) aufgehoben und die Klage abgewiesen – es bestünde zwar ein Eingriff in das APR im Bereich der Sozialsphäre, jedoch nicht erheblich genug für die Zubilligung einer Geldentschädigung aus § 823 I BGB. Ferner komme ein Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO nicht in Betracht, da bereits der Schutzbereich der Norm nicht eröffnet sei.
Das OLG stützte hierzu seine Begründung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Abgrenzung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (APR) und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Letzteres bildet unter anderem die Grundlage für die DSGVO.
Die DSGVO schafft auf europäischer Ebene einen Ordnungsrahmen, der das Recht jeder Person schützt, selbst über die Preisgabe und Verwendung ihrer personenbezogenen Daten zu entscheiden. Voraussetzung hierfür ist, dass eine „Datenverarbeitung“ im Sinne von Artikel 4 Nr. 2 DSGVO vorliege. Nach Auffassung des OLG stelle die Verwendung eines Namens zwar eine solche Datenverarbeitung dar. Im konkreten Fall stehe jedoch nicht die intransparente Verarbeitung personenbezogener Daten im Vordergrund, sondern das Ergebnis eines Kommunikationsprozesses – nämlich die Veröffentlichung und Verbreitung persönlicher Informationen. Dadurch sei allein der äußerungsrechtliche Gehalt des allgemeinen APR betroffen, nicht jedoch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden
Die Revision vor dem Bundesgerichtshof blieb erfolglos. Der zuständige Senat verneinte einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem APR. Ausschlaggebend war die mehrdeutige Formulierung des Demonstrationsaufrufs der Beklagten.
Nach Auffassung des Senats lasse sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, ob ein Durchschnittsrezipient aus dem Gesamtzusammenhang des Posts auf eine Kooperation zwischen Kläger und Beklagter schließen würde. Die Formulierung „GETRENNT MARSCHIEREN- GEMEINSAM SCHLAGEN! […] Alle Kundgebungen sind genehmigt“ lasse auch die Interpretation zu, dass die Protestmärsche unabhängig voneinander organisiert wurden. Ein Teil der Rezipienten könne das Wort „gemeinsam“ im Protestaufruf lediglich auf das gemeinsame Ziel beziehen – nicht jedoch auf eine organisatorische Zusammenarbeit der Parteien. Auch der Plural „Kundgebungen“ spreche für die Annahme getrennter Veranstaltungen. Der Senat bezog sich zur Begründung zudem auf die Rechtsprechung des BVerfG und führte aus: Liegen bei der Auslegung mehrere Deutungsalternativen vor– darunter auch solche, die keine Verletzung des APR darstellen – verbietet Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG eine zivilrechtliche Verurteilung zum Schadensersatz. Die Meinungsfreiheit schütze auch missverständliche oder mehrdeutige Aussagen, solange sie nicht eindeutig rechtswidrig seien.
Bezüglich eines Schadensersatzanspruchs aus Art. 82 DSGVO folgte der Senat im Ergebnis der Auffassung des OLG Dresden. Auf die Eröffnung des Schutzbereichs der Norm komme es jedoch vorliegend nicht an, denn die Namensnennung des Klägers falle bereits unter den Geltungsbereich des Medienprivilegs nach Art.85 II DSGVO iVm. § 23 I 4 MStV. Dieser schütze die Datenverarbeitung zu journalistischen Zwecken, indem der streitgegenständliche Beitrag an der politischen Willensbildung mitwirke. Das Medienprivileg gelte dabei auch für parteipolitische Telemedien.
Was lässt sich aus der Entscheidung mitnehmen?
- Der BGH stellt erneut klar, dass bei mehrdeutigen Aussagen im politischen Diskurs die Meinungsfreiheit Vorrang genießt, wenn die Äußerung nicht eindeutig die Schwelle zur Schmähkritik überschreitet.
- Bei journalistischen geprägten Äußerungen ist ein Schadensersatzanspruch aus der DSGVO aufgrund des Medienprivileg nicht anwendbar.
"BGH: Schadensersatz für Namensnennung?"
von Hannah Reinhardt, wissenschaftliche Mitarbeiterin