Erweiterte Handlungspflicht von Onlinemarkt-Plattformanbietern
E-Commerce. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 21.12.2023 (Az. 6 U 154/22) eine erweiterte Handlungspflicht von Onlinemarkt-Plattformanbietern bestätigt. Mit dem Urteil bestätigte das OLG die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main vom 02.09.2022 - 2-12 O 42/21 und wies die hiergegen gerichtete Berufung zurück.
Das OLG folgte der Auffassung der klagenden Wettbewerbszentrale, nach welcher Betreiber von Online-Plattformen zur Entfernung von Verstößen der Händler verpflichtet ist. Händler auf der Plattform Amazon benutzen zum Verkauf ihrer Produkte Begriffe wie „Hafermilch“, „Sojamilch“ oder „Reismilch“. Der Milchbegriff ist durch die EU-Verordnung 1308/2013 absolut geschützt. Demnach ist der Ausdruck „Milch“ gem. Teil III Nr. 1 Unterabs. 1 des Anhangs VII der Verordnung „ausschließlich dem durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenen Erzeugnis der normalen Eutersekretion, ohne jeglichen Zusatz oder Entzug, vorbehalten“. Eine Nutzung des Begriffs für vegane Produkte stellt einen Verstoß gegen § 3a UWG dar.
Die Wettbewerbszentrale wies Amazon im notice-and-takedown Verfahren auf diese Verstöße hin, woraufhin Amazon diese entfernte. Jedoch blieben ähnliche Angebote mit den gleichen Begriffen online. Daraufhin erteilte die Wettbewerbszentrale eine Abmahnung gegen Amazon. Diese weigerte sich jedoch eine Unterlassungserklärung abzugeben. Dadurch sah sich die Wettbewerbszentrale zur Klage auf Unterlassen von Wettbewerbsverstößen gem. §§ 8, 3, 3a UWG i.V.m. Art. 78 II VO (EU) 1308/2013 sowie Anhang VII Teil III Nr. 1, Nr. 3 veranlasst, soweit Amazon Dritten Gelegenheit gewähre, vegane Milchersatzprodukte mit dem Begriff „Milch“ zum Verkauf anzubieten.
Grundsätzlich haften Online-Plattform-Betreiber nicht für die Rechtsverstöße ihrer Händler. Bei Hinweisen auf Rechtsverstöße sind sie jedoch gehalten diese zu entfernen.
Amazon vertrat die Auffassung, eine Haftung des Online-Marktplatz-Betreibers könne nur in engen Grenzen bestehen, da die Haftung für Rechtsverstöße Dritter ansonsten unangemessen ausgedehnt würde. Ihre wettbewerbliche Verkehrspflicht habe den Inhalt einer Prüfungspflicht. Das OLG sieht dies anders. Amazon habe seiner wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht durch die getroffenen Maßnahmen nicht genügt. Die Hinweise der Wettbewerbszentrale hätten eine weiterreichende Prüf- und Entfernungspflicht ausgelöst, die auch die Prüfung und Beseitigung von gleichartigen Verstößen biete.
Das Bestehen und der Umfang der Prüfpflichten für Plattformbetreiber hänge vom Einzelfall unter Berücksichtigung aller betroffenen Interessen und relevanten rechtlichen Wertungen ab. Es seien nur Gefahrabwendungsmaßnahmen geschuldet, deren Erfüllung dem Handelnden möglich und zumutbar sind. Die Begriffe wie „Sojamilch“, „Hafermilch“ oder „Reismilch“ seien für als Marktplatzbetreiber mithilfe von Filterprogrammen leicht herauszufiltern.
Nach Abwägung der jeweiligen Interessen, kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass der geltend gemachte Unterlassungsanspruch auch im Sinne einer Erfolgsabwendungspflicht greife.
Eine Revision beim Bundesgerichtshof bleibt für Amazon möglich.
"Amazon: Erweiterte Prüf- und Entfernpflichten des Plattformanbieters"
von Annemarie Schulz, wissenschaftliche Mitarbeiterin
Bedeutung für Plattformbetreiber
Dieses Urteil markiert einen Wendepunkt für Betreiber von Online-Plattformen wie Amazon. Es unterstreicht die Notwendigkeit, proaktive Maßnahmen zu ergreifen, um wettbewerbsrechtliche Verstöße zu verhindern. Plattformbetreiber müssen nun nicht nur auf konkrete Hinweise reagieren, sondern auch gleichartige Verstöße aktiv suchen und beseitigen. Dies erfordert eine Verschärfung der internen Compliance-Prozesse, insbesondere durch den Einsatz moderner Technologien wie KI-gestützte Filtertools, um Begriffe wie „Milch“ in veganen Kontexten zu identifizieren.
Die Entscheidung stärkt den Verbraucherschutz und den fairen Wettbewerb, indem sie Plattformen in die Verantwortung nimmt, ihre Marktplätze sauber zu halten. Für Unternehmen bedeutet dies höhere Anforderungen an die Überwachung von Händlerangeboten, was mit einem erhöhten Aufwand verbunden ist. Gleichzeitig bietet das Urteil eine Chance, durch transparente und rechtssichere Prozesse das Vertrauen von Kunden und Partnern zu stärken.
Was können Plattformbetreiber tun?
Um Abmahnungen und rechtliche Konflikte zu vermeiden, sollten Betreiber folgende Schritte umsetzen:
- Regelmäßige Überprüfung: Implementierung automatisierter Systeme zur Erkennung wettbewerbswidriger Begriffe wie „Hafermilch“ oder „Sojamilch“.
- Schulungen für Händler: Sensibilisierung der Händler für gesetzliche Vorgaben, etwa durch Webinare oder Richtlinien.
- Kooperation mit Behörden: Enge Zusammenarbeit mit Organisationen wie der Wettbewerbszentrale, um Verstöße frühzeitig zu beheben.
- Rechtsberatung: Einbindung spezialisierter Anwälte, um Prüf- und Entfernungspflichten rechtssicher zu gestalten.
Fazit
Das Urteil des OLG Frankfurt am Main zeigt, dass die Verantwortung von Plattformbetreibern weit über das bloße Reagieren auf Hinweise hinausgeht. Es setzt neue Maßstäbe für die Sorgfaltspflichten im digitalen Handel und unterstreicht die Bedeutung einer robusten Rechtskonformität. Unternehmen wie Amazon müssen ihre Prozesse anpassen, um zukünftige Abmahnungen zu vermeiden und den fairen Wettbewerb zu gewährleisten. Unsere Kanzlei, ITMR Rechtsanwälte, unterstützt Plattformbetreiber mit maßgeschneiderter Beratung im Wettbewerbsrecht und bei der Umsetzung effektiver Compliance-Strategien.