26. August 2025
E-Commerce. Mit seinem Urteil vom 12. Juni 2025 Az.: III ZR 109/25 hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine Grundsatzentscheidung im Bereich des aufblühenden Wirtschaftsfeldes der Online-Coaching bzw. Internet-Mentoring Verträge getroffen. Dabei hat der BGH bisherige obergerichtliche Rechtsprechung zur grundsätzlichen Anwendbarkeit des Fernunterrichtsschutzgesetzes (im Folgenden: FernUSG) auf die o.g. Vertragsmodelle im Wesentlichen bestätigt. Zudem hat er eigens die Kriterien festgelegt und inhaltlich ausgefüllt, die eine Anwendung des FernUSG im Bereich des Online-Coachings zulassen.
Relevanz entfaltet diese Entscheidung insbesondere, da es den Anbietern solcher Business-Modelle häufig an einer für den Fernunterricht erforderlichen behördlichen Zulassung durch die Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) fehlt. Aufgrund dessen wird den Teilnehmern des Online-Coachings über den §§ 7 Abs. 1, 12 FernUSG ermöglicht sich wegen der Nichtigkeit des gegenständlichen Vertrags vorzeitig von diesem zu lösen, dadurch ausstehende Vergütungen an die Veranstalter der Online-Formate nicht mehr zahlen zu müssen und zusätzlich Rückerstattungsansprüche gegen den Anbieter für die bereits gezahlte Vergütung im Rahmen der Leistungskondiktion geltend zu machen. Für Anbieter von Online-Coachings und Online-Mentorings bedingt sich hieraus ein erhebliches finanzielles Risiko.
A. Zugrundeliegende Entscheidung:
Der Entscheidung liegt ein gerichtliches Verfahren in 3 Instanzen zwischen dem Betreiber eines 9-Monats-Business-Mentoring-Programms und eines Teilnehmenden dieses Programms zugrunde. Der Betreiber verfügte über keine Zulassung i.S.v. § 12 Abs. 1 Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) für das entsprechende Programm und hatte dennoch u.a. mit dem Teilnehmenden einen Vertrag im Bereich „Traiding-Coaching“ zum Bruttopreis von 23.800 EUR geschlossen. Vertragsinhalte waren entsprechend der Programmbeschreibung u.a. die Aneignung unternehmerischer Fähigkeiten und eines umfangeichen Know-Hows sowie der Aufbau von Wissen effizienter Wachstumsstrategien sowie ein erheblich verkürzter Wissensaufbau. Hierzu sollten zweimal wöchentlich Online-Meetings stattfinden, die für die Teilnehmenden aufgezeichnet wurden und für die spätere Verwendung jederzeit abrufbar waren. Zudem wurden u.a. Hausaufgaben, halbjährliche Workshops, Lernvideos, die Möglichkeit über verschiedene Formate Fragen zu stellen oder auch eine Individualbetreuung im Bedarfsfall als Inhalte des Programms vom Betreiber offeriert. Das Programm setzte sich neben der Wissensvermittlung und -aneignung auch eine entsprechende Persönlichkeitsentwicklung der Teilnehmer zum Ziel. Der Teilnehmer hatte den gegenständlichen Vertrag während der Vertragszeit fristlos gekündigt und wegen arglistiger Täuschung angefochten. Dabei berief er sich u.a. auf die Nichtigkeit des o.g. Vertrages gemäß § 7 Abs.1 FernUSG wegen des Verstoßes gegen das Zulassungserfordernis für Fernlehrgänge. Der Teilnehmende verlangte eine Rückzahlung bereits entrichteter Vergütung und die Feststellung einer Befreiung von jeglicher weiterer Leistungspflicht aus dem o.g. Vertrag. Der Betreiber hingegen verlangte im Kontext einer Widerklage die noch ausstehende Kursgebühr, nachdem er die o.g. Kündigung nicht akzeptiert hatte. Während das LG Heilbronn (Urteil vom 19.12.2023 – 3 O 108/23) die Klage noch abgewiesen und der Hilfswiderklage des Betreibers stattgegeben hatte, da es die Regeln des FernUSG auf den gegenständlichen Mentoring-Vertrag als unanwendbar einstufte, erkannte das Oberlandesgericht Stuttgart (Urteil vom 29.08.2024 - . 13 U 176/23) den Rückgewähranspruch des Teilnehmenden sowie den zusätzlichen Feststellungsantrag an. Der BGH bestätigte im Folgenden nun die Rechtsauffassung des OLG.
B. Kriterien des BGH für die Anwendung des FernUSG auf Internet-Coaching:
Der BGH ordnete entsprechende Business-Mentoring-Programme unter den gemäß § 1 Abs.1 FernUSG legaldefinierten Begriff des Fernunterrichts ein. Dieser verlangt „die auf vertraglicher Grundlage erfolgende, entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind und der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen.“
Der BGH räumte hierbei u.a. der hierfür erforderlichen „Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten“ ein weites Verständnis ein, sodass der Vermittlungsinhalt des Lernprogramms unerheblich für das Verständnis als Fernunterricht sein soll und insbesondere keine Mindestqualität an die entsprechend vermittelten Lerninhalte zu stellen sei. Hiermit berücksichtigte der BGH dem vom Gesetzgeber beabsichtigten, möglichst umfassenden Schutz für Fernunterrichtsteilnehmer. Eine Ausnahme aus dem Schutzbereich des FernUSG anhand der Lerninhalte des Coaching-Programms wird dementsprechend kaum anzutreffen sein. Zur Einordnung entsprechender Verträge, deren Vertragsschwerpunkt die Persönlichkeitsweiterentwicklung im Sinne der „individuellen und persönlichen Beratung und Begleitung des Kunden“ ist, äußerte sich der BGH hingegen nicht. Jedoch machte der BGH deutlich, dass man sich bei der Einordnung des Vertragsschwerpunkten an den Vertragsinhalten und nicht an den vom Anbieter tatsächlich gegenüber dem Teilnehmer erbrachten Leistungen zu orientieren habe.
Entgegen der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung nahm der BGH im Kontext des Merkmals der „räumlichen Trennung zwischen Lehrendem und Lernendem“ keine Begrenzung auf lediglich zeitlich versetzt (asynchron), abzurufende Lerninhalte im Rahmen des Fernunterrichts vor. Ob eine solche einschränkende Auslegung dieses Merkmals dahingehend vorzunehmen ist, dass die Lehrveranstaltung und die Abrufbarkeit der Lehrinhalte asynchron erfolgen muss, wurde vom BGH stattdessen im Kontext dieser Entscheidung offengelassen. Im vorliegenden Fall ließ die Beschreibung der gegenständlichen Vertragsinhalte bereits die Annahme überwiegend asynchroner Unterrichtsbestandteile zu (insbesondere in Bezug auf Lernvideos, Hausaufgaben und Online-Meetings), sodass keine Differenzierung zwischen asynchroner und synchroner Lernvermittlung stattfinden brauchte.
Allerdings wurde in dem o.g. Kontext zusätzlich deutlich herausgestellt, dass der BGH den Bewertungen der ZFU sowie des OLG Celle und OLG Köln insoweit folgt, dass Lehrinhalte, die zunächst als synchroner Unterricht aufgezeichnet und den Teilnehmern anschließend zur Verfügung gestellt werden, als ebenfalls asynchrone Inhalte bewertet werden, da deren Ausgestaltung eine synchrone Partizipation der Teilnehmer entbehrlich mache und deren Aneignung durch die Teilnehmer zeitversetzt erfolgen könne (z.B. bei der Aufzeichnung von Präsenz-Onlinekursen für die Teilnehmer zur Nachbearbeitung). Synchrone Lernveranstaltungen erfordern dementsprechend laut BGH entweder eine physische Präsenz der Teilnehmer vor Ort oder eine ausschließlich synchron, abgehaltene Online-Veranstaltung.
Bezüglich des verbleibenden Merkmals der „Überwachung des Lernerfolgs durch den Lehrenden oder seine Beauftragten“ hielt der BGH an seinen bisher aufgestellten niederschwelligen Anforderungen an eine individuelle Lernerfolgskontrolle bzgl. der Teilnehmenden fest. So genügt es weiterhin eine einzige Lernkontrolle durchzuführen, die bereits dann erfüllt ist, wenn es die Programmbeschreibung des Lehrenden vorsieht, dass der Lernende als Begleitung zur Unterrichtsveranstaltung mündliche Nachfragen zum Lehrstoff zur Individualkontrolle an den Lehrenden oder dessen Beauftragten stellen kann. Ob der Lehrende diese vertraglich vorgesehene Lernüberwachung dann auch tatsächlich durchführt, ist hingegen nicht von Bedeutung. (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 2009 – III ZR 310/08)
Dementsprechend ordnet der BGH Coaching- und Mentoring-Verträge unter den eben beschriebenen Voraussetzungen unter den Begriff des „Fernunterrichtsvertrags“ ein, sodass auch die hierfür vorliegenden Voraussetzungen des FernUSG zur Nichtigkeit (§7 Abs. 1 FernUSG) und erforderlichen Zulassung (§12 Abs.1 FernUSG) hierauf anwendbar sind.
C. Rechtsfolgen und prozessuale Anforderungen für die Anbieter:
In der Folge gestattet der BGH einem Teilnehmer eines solchen Coaching- oder Mentoring-Vertrages im Rahmen des FernUSG den Vertrag für nichtig zu erklären, insofern der Anbieter nicht über die erforderliche Zulassung verfügt und mit seinem vertraglichen Angebot unter den weitgefassten „Fernunterrichtsbegriff“ fällt. Im Grundsatz wird dem Teilnehmer in der Folge ein Leistungskondiktionsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB gegen den Veranstalter in Höhe der bisher gezahlten Vergütungsleistungen gewährt.
Dabei beschränkt sich die Entscheidung jedoch nur auf Coaching-Verträge deren Schwerpunkt in der Wissenserteilung und -vermittlung liegt. Für Coaching-Verträge die hauptsächlich auf die Betreuung im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung ausgerichtet sind, trifft der BGH hingegen keine Entscheidung (vgl. oben), sodass hier zumindest vorerst keine Anwendbarkeit der FernUSG und mithin kein Rückerstattungsanspruch der Teilnehmenden anzunehmen ist..
Eine Einschränkung dieses Rückvergütungsanspruchs der Höhe nach wird den Anbietern solcher Fernunterrichtsformate durch den BGH zwar grundsätzlich ermöglicht. Dies wird jedoch davon abhängig gemacht, dass beim Anbieter keine Kenntnis davon bestand, dass er durch sein Handeln ohne entsprechende Zulassung gegen das FernUSG verstieß und er im Rahmen der eigenen Darlegungslast vortragen und prozessual beweisen kann, dass der Teilnehmer ansonsten einen anderen, nach dem FernUSG zugelassenen Anbieter gegen eine entsprechende Vergütung beauftragt hätte. Sollte dem Anbieter dies möglich sein, begründet er einen eigenen Wertersatzanspruch gegen den Teilnehmer i.S.v. § 818 Abs. 2 BGB, den er mit dem o.g. Rückerstattungsanspruch des Teilnehmers im Rahmen der „Saldotheorie“ verrechnen kann.
D. Weiter Begriff des Teilnehmers im FernUSG:
Zudem kommt der BGH zu der wesentlichen Schlussfolgerung, dass der Begriff des Teilnehmenden im Kontext des FernUSG weit auszulegen sei. § 7 Abs.1 und § 12 Abs.1 FernUSG seien grade auch dann anwendbar, wenn der Teilnehmende Unternehmer i.S.v. § 14 BGB sei. Eine teleologische Reduktion der Anwendung des FernUSG auf Verbraucher i.S.v. § 13 BGB sei nicht möglich, da weder aus gesetzgeberischem Willen noch aus Sinn und Zweck des FernUSG eine entsprechende Begrenzung des Personenkreises vertretbar sei. Somit manifestiert der BGH seine mit Teilen der bisherigen Rechtsprechung, die eine Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs des FernUSG auf Verträge mit Verbrauchern vorsah, kontrahierende Rechtsauffassung. Eine entsprechende Beschränkung des Personenkreises, auf den das FernUSG im Kontext des Abschlusses von Fernunterrichtsverträgen Anwendung finden soll, ist vom BGH nicht vorgesehen. Somit dürfte es künftig nicht nur privaten Teilnehmenden, sondern auch Teilnehmern an Fernunterrichts- bzw. Coachingsveranstaltungen, die diese zu gewerblichen oder selbständigen beruflichen Zwecken nutzen, möglich sein, sich auf das FernUSG zu berufen und gegenüber Veranstaltern ohne gültige Zulassung die entsprechenden Verträge für nichtig zu erklären sowie Rückerstattung von bereits gezahlten Vergütungen zu verlangen.
E. Perspektive für Online-Coaches und vergleichbare Anbieter:
Aufgrund der neuen Rechtsprechung des BGH zur Einordnung von Online-Coaching-Verträgen zu den Fernunterrichtsverträgen und den hierbei dargestellten Kriterien machen sich insbesondere Anbieter solcher Vertragsmodelle zivilprozessual angreifbar, die über keine entsprechende Zulassung der ZFU verfügen. Es entstehen insbesondere Risiken im Rahmen der o.g. Rückerstattungsansprüche von Teilnehmern, die die Nichtigkeit des Vertrages geltend machen. Zusätzlich können gemäß §21 FernUSG Bußgelder der ZFU aufgrund des Verstoßes gegen die Zulassungspflicht drohen.
Um sich künftig vor entsprechenden Risiken abzusichern, sollten entsprechende Anbieter rechtlich überprüfen, ob ihr Angebot nach BGH-Rechtsprechung nun dem Fernunterricht zuzuordnen ist. Für diesen Fall sollten sie über Möglichkeiten der Anpassung der Vertragsinhalte für künftige Vertragsschlüsse nachdenken. Hierbei kommt insbesondere in Betracht den Schwerpunkt der geschuldeten Leistung in den Bereich des „Persönlichkeits- und Mentalcoachings“ zu verlagern oder seine Lehrinhalte hauptsächlich auf synchrone Lerninhalte umzustellen.
Hinsichtlich bestehender Verträge sollte im Fall der Nichtigkeit des Vertrages und der Rückerstattungsforderung der Teilnehmenden geprüft werden, ob hinsichtlich einer Saldierung mit einem eigenen Wertersatzanspruch genügend konkreter Sachvortrag vorgebracht werden könnte, um diesen gerichtlich im Rahmen einer Prozessaufrechnung oder einer Widerklage darzulegen und zu beweisen. In den Fällen, in denen dies nicht ohne größere Schwierigkeiten oder erhebliche, zusätzliche Kosten bei der Beweisführung möglich ist, ist über eine außergerichtliche Einigung mit den Teilnehmenden nachzudenken.
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"Anwendung des FernUSG auf Online-Coaching-Verträge"
von Lars Templin, wissenschaftlicher Mitarbeiter